Da stand ich nun, angekommen am Bahnhof in La Rochelle und meine Augen suchten nach vertrauten Personen. Ich war gespannt wie eine Feder was mich da erwarten würde. Mit der aus dem Zug quellenden Menschenmasse, liess ich mich durch die volle Bahnhofshalle schieben. Da erblickten meine Augen auch schon Sino und Martin, die mit ihren Fahrrädern mein Empfangskomitee bildeten. Ein wenig verdutzt schaute ich die Beiden an und wunderte mich, dass sie bei fast strahlend blauem Himmel und Sonnenschein ihre Öljacken trugen. Ich dachte mir jedoch, dass dies halt so üblich wäre unter Seglern und schob den Gedanken wieder von mir. Was für einen Stellenwert diese Jacken bekommen würde, erfuhr ich schon früher als es mir lieb war.
Auf unserem Weg zum Hafen staunte ich über die vielen Segelboote an denen wir vorbeifuhren. So viele Boote hatte ich noch nie gesehen. Da reihte sich Mast an Mast über eine riesige Fläche von Wasser. Unmöglich diese Schiffe auch nur annähernd zu zählen oder auch nur abzuschätzen.
Schliesslich kamen wir, erfasst von einem kurzen Regenschauer, beim letzten Bootssteg an, wo unser schwimmendes Zuhause gut vertaut in einer Boxe schwamm. Roger (von uns nur liebevoll Carlos genannt), welcher bereits an Bord war, begrüsste mich lachend vom Heck des Schiffs und hievte meine Tasche in den Salon. Nach dem Abendessen stiessen wir mit einem Glas Wein auf das kommende Abenteuer an und ich verkroch mich übermüdet von der Reise in meine Koje im Mittelschwimmer. Während ich schon bald in einen traumlosen aber tiefen Schlaf fiel, arbeiteten Martin und Carlos noch bis weit in die Nacht auf Hochtouren am Schiff weiter. Die Gründe für dieses emsige Treiben wurde mir nach dem Frühstück schnell klar, als Martin mit gefühlt 20 verschiedenen und bis in die letzte Ecke beschrifteten und vollgezeichneten A4-Blättern in der Hand sein Segelboot inspizierte. Ach, herrjeh! Seine To do-Liste war in etwa so lang wie die chinesische Mauer.
Schon der nächste Tag zeigte die Berechtigung dafür, dass man das Ölzeug stets griffbereit haben musste. Begrüsste uns doch der Morgen mit einem kräftigen Regenguss aus heiterem Himmel. Das Himmelszelt quittierte daraufhin dieses Nass mit einem Doppel-Regenbogen in den schönsten Farben. Noch hätte ich nie gedacht, dass dieses tägliche Schauspiel aus Regenbogen und Gewitterwolken so sicher waren wie das Amen in der Kirche. Nach einer Weile wussten wir, dass wir den Bootssteg vom Schiff heraus niemals betreten durften, ohne das Ölzeug bereits angezogen zu haben. Es war schon fast mit Garantie vorherzusagen, dass der Himmel seine Schleusen sonst nämlich just in genau diesem Moment öffnen würde, auch wenn weit und breit keine Wolke vorhanden war. Irgendwann waren wir uns sicher, dass die Regenwolke uns verfolgen würde. Denn irgendwie regnete es immer nur genau da, wo wir uns gerade befanden.
Ungläubig versuchten wir auch noch ein paar Wochen später die 500m von unserem Schiffssteg bis zum Sanitärgebäude zurückzulegen ohne unser Ölzeug. Dies war teilweise sogar ganz praktisch, denn da angekommen musste man sich nur noch einseifen. Das Duschen hatte sich bereits auf dem Weg dahin erledigt. Das Rätsel um den Regen über unserem Segelboot konnte ich bis heute nicht lösen, wird aber in unseren Erinnerungen an den Hafen von La Rochelle für immer im Gedächtnis bleiben.
Ein weiteres Highlight der Kategorie „und täglich grüsst…“ war das Erscheinen neuer Punkte auf Martins nicht enden wollender Pendenzenliste. Auf diese werde ich zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht noch ein wenig ausführlicher eingehen. Doch schon rein mit den Punkten auf seiner Liste könnte man ein ganzes Buch füllen und sprengt den Rahmen dieser Geschichte.
Die Zeit zwischen den Regengüssen vertrieben wir uns also mit dem Abarbeiten von Martin's Pendenzen. Doch kaum hatten wir ein paar der aufgeführten Arbeiten erledigt, erschienen darauf quasi über Nacht wieder weitere Punkte. Zugegeben, teilweise waren diese auch ein wenig hausgemacht. Wenn ein neues Boot plötzlich zu einem Zuhause für 5 Personen werden sollte war klar, dass da auch noch einiges an Hausrat fehlte. Zumindest aus Sicht einer Frau.
Mit jedem Tag, den ich nun dort auf dem Schiff verbrachte wurde klarer, dass sich die Abreise durch die Biskaya noch ein wenig hinziehen konnte. Dies war nicht nur den halbfertigen Arbeiten auf dem Schiff zu verdanken, auch wurde das Wetter in der Seglerstadt von Tag zu Tag schlechter und die Regengüsse häufiger und ergiebiger. Der Winter nahte in zügigen Schritten und die Wettervorhersagen prognostizierten die heran rollenden und für die Biskaya berüchtigten Stürme.
Stirnrunzelnd konsultierte Martin täglich die verschiedenen Wetter-Apps in der Hoffnung, ein geeignetes Fenster für unsere Abreise zu entdecken. Doch auch hier war schnell klar, dass nach einem Tiefdruckgebiet sich bereits schon das nächste auf der Wetterkarte etablierte. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als das Beste aus der Situation zu machen.
Das finale Highlight der Stürme bildete dann der Jahrhundertsturm am 5. November, der mit Windgeschwindigkeiten von über 100 Knoten Wind angesagt war. Die Hafenbewohner in den Schiffen wurden von der Hafenmeisterei sogar aufgefordert, in ein Hotel umzuziehen bis der Sturm sich wieder verziehen würde.
Für uns war klar, dass wir unseren Trimaran nicht alleine lassen würden und so wurde unsere „Makani“ von Martin durch weiteres Tauwerk am Bootssteg festgezogen, in der Hoffnung, dass sie den Sturm schadlos überstehen würde.
In dieser Nacht konnte keiner von uns schlafen. Der Wind pfiff lautstark durch die Segelboote und das Gepolter im Hafen, verursacht durch singende Masten und Takelagen sowie auch den zu wenig gesicherte Booten welche an die Bootsstege geknallt wurden, waren unüberhörbar, geradezu ohrenbetäubend. Wenigstens konnten wir so bedenkenlos die Soundanlage des Fernsehers testen und übertönten damit so gut es ging unsere ebenfalls krachenden und knarrenden Schiffswände. Unseren Gesichter und den verstohlenen Blicken auf die Windanzeige in unserem Cockpit war jedoch abzulesen, dass es bei diesen Windgeschwindigkeiten keinem von uns so richtig wohl war.
Der Sturm schwächte sich im Laufe des nächsten Tages zusehends ab und wir begutachteten die Schäden im Hafen. Glücklicherweise war unser Schiff gänzlich verschont geblieben und auch die anderen Boote waren meist ohne nennenswerte Verluste. Anders sah dies leider bei nicht so gut geschützten Häfen im Norden von Deutschland aus wo der Sturm ganze Häfen dem Erdboden gleich gemacht hatte.
Auch wenn der Jahrhundert-Sturm vorüber war, an eine Abfahrt konnte weiterhin nicht mal ansatzweise gedacht werden. Der Sturm türmte die Wellen um die spanische Küste bis auf 26m auf und flachten sich bis zur französischen Küste auf immer noch gute 12m ab. Dies waren keine schönen Aussichten und verunmöglichten unser Auslaufen in die Biskaya um mindestens ein bis zwei weitere Wochen, denn es jagte weiterhin ein Tiefdruckgebiet das nächste.
Klar, Wind zum Segeln wäre genügend vorhanden gewesen. Doch wer sich in Geografie und Meteorologie ein wenig auskannte wusste, dass die nördlich von Frankreich einfahrenden Tiefdruckgebiete ‚Linksdrehend‘ waren und somit der Hafenstadt La Rochelle mit einem satten Westwind ins Gesicht bliesen. 12m hohe Wellen und Wind auf die Nase des Segelboots waren alles andere als ein Zuckerschlecken und würden in der Biskaya einem Himmelfahrtskommando gleichen.
Die herbstlichen und gefürchteten Stürme waren an der französischen Küste angekommen und unser Wunsch nach einem Winter in der Wärme blieb noch eine Weile nichts weiter als nur ein Wunsch.
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