Gedankenverloren starrte ich in meinem stadtzürcher Büro aus dem Fenster im ersten Stock. Die Sicht aus den Fenstern wurde getrübt durch den mit den stürmischen Winden an die Scheibe peitschenden Wassertropfen. Der Screensaver auf dem Computer vor mir zeigte schon seit Minuten die schönsten Bilder von fernen Stränden, Palmen und dem Meer.
Das Leben in der Komfortzone, welches ich mir selbst jahrelang erschuf, hatte seinen Glanz verloren. Die mir zur Verfügung stehenden täglichen 24h wechselten sich ab mit schlafen, essen und arbeiten. Dies war definitiv nicht, was ich vom Leben wollte. Es war kein Leben sondern fühlte sich an wie ein langweiliges Warten auf dessen Ende. Ich wollte wieder mehr Spass, Freude, Lachen und vor allem viel mehr Sonne, Wärme, Wind, Meer und Kitesurfen.
Als Martin mir bei einem zufälligen Treffen auf einem Geburtstag von seinem Traum erzählte, mit dem Segelboot über die Meere zu segeln, um an den schönsten Orten der Welt Windsurfen und Wellenreiten zu gehen, entzündete er nichtswissend den in mir schlummernden Abenteurerfunken, welcher sich innert kürzester Zeit zu einem lodernden Feuer entfachte. Ich sah mich bereits, wie ich am Steuer des Segelboots auf die palmenbestückten Inseln mit den weissen Sandstränden in die einsamsten Buchten zusteuerte. Nichtsahnend, dass dieser Wunschtraum sich vielleicht tatsächlich erfüllen könnte. Das Feuer in mir wurde durch die Routine des Alltags in den kommenden Monaten jedoch fast gänzlich wieder erstickt.
Es vergingen noch ein paar Jahre, bis ich dann tatsächlich die Meldung von Martin bekam, dass es mit dem Segelboot schon bald losgehen würde. Da ich mein Arbeitspensum bereits reduziert hatte, um ein paar Monate Ferien in Kenia zu verbringen, passte sein Abfahrtsdatum tatsächlich perfekt in meinen Sabbatical-Zeitplan. Schnell war klar, dass Kenia nun nicht mehr oben auf der Liste stand und ich mehr als bereit war für dieses „Abenteuer Segelschiff“.
Von nun an ging alles sehr schnell, denn ich hatte noch genau einen Monat Zeit, bis Martin über die Biskaya nach Portugal gesegelt war und mich dann später irgendwo auf den Kanarischen Inseln einsammeln würde. Dieser Plan ging schon mal ziemlich daneben.
An der, in einer Werft in La Rochelle neu gefertigten Segelyacht, mussten noch diverse Arbeiten ausgebessert werden. Diese waren für Frankreichs Boatshow, wo Martin’s Segelboot als „Yacht of the Year 2024“ nominiert war, nicht mehr rechtzeitig fertig geworden.
So wurde dann aus meinem ersten geplanten Zusteigeort Gran Canaria plötzlich Lissabon, dann Porto und schliesslich meldete Martin, dass ich direkt mit dem Zug nach La Rochelle fahren konnte. Da hatte ich noch keine Ahnung, was mich in den kommenden Wochen erwarten würde.
In meine Vorfreude auf die Aussicht mit den Palmeninseln mischte sich nun ein mulmiges Gefühl bei. Denn nach La Rochelle zu fahren bedeutete gleichzeitig, dass ich über die Biskaya mit dabei sein würde. Biskaya und Herbststürme waren ja in allen Kreisen der Segler weltweit bekannt. Das konnte heiter werden!
Die Zeit verging nun wie im Flug, hatte ich doch noch einiges zu organisieren. Über die Biskaya bedeutete, dass ich da mehr als nur ein Bikini, Boardshorts und Flipflops brauchen würde. Schnell hatte ich so meine ganzen Wintersachen wieder vom Dachboden geholt und wanderten zusammen mit Ölzeug, Segelhandschuhen und Stiefeln in meiner Reisetasche.
Bald wurde mein kleines Gepäck auch noch mit einem zusätzlichen Kitebag ergänzt, denn die 1. Etappe sollte vorerst bis in die windverwöhnten Kapverden gehen. Mit Zug und Kitebag liess es sich doch immer noch ganz gechillt reisen.
Ein paar Tage und WhatsApp mit Martin später war klar, dass ich mein Kitegepäck in den von Walenstadt nach La Rochelle fahrenden Transporter laden konnte. In mir war diese Meldung der finale Brandbeschleuniger! Zwei Tage später sass ich mit meinem Chef zusammen und legte ihm meine Pläne für das kommenden Jahr vor. Mein Chef, selber Segler und Kitesurfer hatte vollstes Verständnis für meine Pläne und segnete diese auch direkt ab. Wenn auch mit dem kleinen Zusatz, dass ich das Versprechen abgeben musste, den Sommer weiterhin für die Firma zu arbeiten. Klar! War doch vorerst mal kein Thema.
Nun hiess es für mich nochmals alles von vorne überdenken und das Reisegepäck neu zu sortieren. Denn es war mir nun klar, dass ich das kommende Jahr oder in meinem Kopf wohl auch länger auf der Segelyacht verbringen wollte.
Nur gerade mal zwei Tage später war dann mein komplettes Kitesurf-, Wing- und Foilequipment sowie mein halber Hausrat im Innern des Transporters verschwunden und auf dem Weg nach Frankreich.
Am 21. Oktober 2023 war es dann soweit und nun hiess es „bye bye La Suisse“ und es ging vorerst endgültig von Zürich über Paris zu einem der grössten Seglerhafen in Europa, La Rochelle. Mit mir als Passagier voller Vorfreude holperte mein Zug nun einem Abenteuer entgegen welches wohl nicht allzu schnell enden würde. Hätte ich da bereits gewusst, was mich alles erwarten würde, hätte ich es mir vielleicht nochmals anders überlegt.
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